1931: Christlichsoziale und Sozialdemokratie verhandeln über eine Koalition
Die letzte Chance für eine Überwindung der politischen Spaltung
Die wirtschaftliche Krise Österreichs erreichte mit dem Zusammenbruch der Österreichischen Creditanstalt im Juni 1931 einen Höhepunkt, die Regierung Ender-Schober trat am 19. Juni zurück. Bundespräsident Wilhelm Miklas betraute den gesundheitlich stark angeschlagenen Altkanzler Ignaz Seipel mit der Regierungsbildung. Seipel versuchte eine Koalition möglichst aller Parteien unter Einschluss der Sozialdemokraten zur Rettung der Republik zu bilden und bestand darauf, dass Otto Bauer als Vizekanzler in die Regierung eintrat. Er plante die Aufnahme von vier Sozialdemokraten, drei Christlichsozialen, einem Großdeutschen und einem Landbündler in eine vom ihm geführte Regierung. Obwohl es starke Kräfte innerhalb der Sozialdemokratie gab, die für eine Annahme von Seipels Angebot – das in der Forschung kontrovers diskutiert wird – plädierten (etwa Karl Renner), setzte sich Otto Bauer durch. Die Sozialdemokraten lehnten mit der Begründung ab, man wollte nicht die Geschäfte des zusammenbrechenden Kapitalismus mitadministrieren. Außerdem trauten sie Seipel nicht. Der Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus hätte beiden Seiten eine gemeinsame Koalition – wenn auch nur für kurze Zeit – zur Lösung der Wirtschaftsprobleme und zur Stabilisierung der Demokratie als zwingend erscheinen lassen müssen. Wie immer man das Angebot Seipels auch betrachte, meinte später Bruno Kreisky, „im Rückblick scheint es mir eindeutig falsch, dass man nicht stärker für einen Kompromiss eintrat, um in einem so kritischen Augenblick in der Regierung zu sein.“
Schließlich bildete der bisherige Landeshauptmann von Niederösterreich, Karl Buresch, eine bürgerliche Regierung.